Todsünde Vermenschlichung

Todsünde Vermenschlichung

Die Grenzen zwischen Tierliebe und einer für das Tier leidvollen Vermenschlichung waren schon immer fließend. Die Frage, was den Menschen ausmacht und wie er Tiere behandeln soll, hat bereits vor Jahrtausenden sogar die großen Philosophen, die in die Geschichte eingingen, beschäftigt.  

Heute schreiben wir das 21. Jahrhundert. Die Vermenschlichung der Tiere, vor allem die der Hunde, geht weiter. Dabei führen genau diese Tendenzen oft zu durch Fehlinterpretationen verursachten Fehlverhalten. Es gibt tausende von Büchern, wissenschaftliche Artikeln, Fernsehsendungen, Hundetrainern, Verhaltensforschern- und Therapeuten, die alle unermüdlich versuchen zu erklären und zu erläutern, warum die extreme Vermenschlichung von Tieren im Grunde genommen nichts anderes ist als menschlicher Egoismus, der sowohl dem Tier als auch dem Halter über kurz oder lang schadet.

Die Liste lang. Ansprechen möchte ich wenigstens die fünf häufigsten Anzeichen der Vermenschlichung:

Hunde dürfen sich wie Menschen benehmen

Einige Befürworter vertreten, dass nichts dagegenspricht, wenn der Hund unkompliziert ist und weder Futter noch Liegeplätze verteidigt. Dem entgegen argumentieren Kritiker, dass das dem Hund ein falsches Verständnis von Rangordnung innerhalb der Beziehung vermitteln kann. So kann es dazu kommen, dass der Mensch nicht mehr als Orientierungsperson wahrgenommen wird und die Befehle nicht mehr befolgt. Auch kann sich bei manchen Hunden durch gemeinsames Nächtigen der Beschützerinstinkt intensivieren, so dass dieser keine anderen Personen mehr im Bett toleriert. In so einem Fall sollte es dem Hund strikt verboten werden, im Bett oder auf dem Sofa zu liegen. Zudem gibt es immer noch eine Reihe von alten und neuen Infektionskrankheiten, die trotz Prophylaxe, vom Tier auf den Menschen als auch vom Menschen auf Tiere übertragen werden können, die sogenannten Zoonosen. Der Veterinärmedizin sind heute mehr als zweihundertfünfzig verschiedene Krankheiten bekannt und nach heutiger Erkenntnis stammen mehr als die Hälfte der Viruserkrankungen des Menschen ursprünglich von Tieren. Unbehandelte Infektionen wie z.B. ein Befall mit Herzwürmern oder dem Fuchsbandwurm, die gefährlichste parasitäre Zoonose Mitteleuropas, mit der sich in Deutschland jährlich einhundert Menschen infizieren, enden meist tödlich. Gut belegt ist außerdem, dass bestimmte menschliche Nahrungsmittel auf Dauer für den Hund gesundheitsschädlich (z.B. Salz und Pfeffer), bis giftig/tödlich (z.B. Produkte die Xylitol enthalten), sind. Eine sachkundige Beratung, um Ernährungsfehler zu vermeiden, wäre für jeden Hundehalter von Vorteil.

Handlungen, Körpersprache oder Gesichtsausdrücken des Hundes werden menschliche Gefühle zugeschrieben

Viele Wissenschaftler stellen das Vorhandensein eines Gefühlsleben im Tier nicht mehr in Frage, zumindest nicht, wenn es um die Primäremotionen wie Freude, Trauer, Wut oder Angst geht. Begründet wird dies mit dem Existenz einer Funktionseinheit des Gehirns, des limbischen Systems, welches sowohl bei Tieren als auch bei Menschen für die Entstehung und Verarbeitung von Emotionen zuständig ist. Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass die Gehirne nicht identisch sind und daher auch die Emotionen sich in ihren Nuancen unterscheiden, d.h. die Gefühle der Tiere sind nicht so komplex und tiefgründig wie die der Menschen. Ein klassisches Beispiel ist die Zerstörungswut des Hundes in Abwesenheit seines Besitzers. Da einige Hundehalter dem Irrtum unterliegen, dass es sich um eine Racheaktion handelt, „lösen“ sie dieses Problem, indem sie den Hund z.B. in ein kahles Badezimmer oder in einen Zwinger sperren, was die Situation langfristig nur noch verschlimmert.  Die hohe Stressbelastung beim Hund führt zu weiteren Verhaltensauffälligkeiten und Gesundheitsproblemen.

Eine mögliche Ursache, die hinter einer Zerstörungswut liegt, ist z.B. Trennungsangst, aber niemals, dass ein Hund mit Absicht seinen Menschen ärgern möchte. Ein Hund ist ein soziales Lebewesen und hat den angeborenen Wunsch, Teil eines Rudels zu sein. In der freien Wildbahn werden nur kranke oder schwache Tiere zurückgelassen, die dem Rudel nicht mehr behilflich sein können. Das Alleinbleiben macht für den gesunden Hund keinen Sinn, Energie und Frustration staut sich auf, das durch Beißen und Kauen an Gegenständen wieder abgebaut wird.

Bei einem Problemverhalten ist es sehr wichtig ursächlich zu arbeiten. Das Lösen von Symptomen ist nicht nachhaltig, weil sich neue Symptome bilden werden, solange die Ursache bestehen bleibt. Wenn ein Hund mit Trennungsangst in ein kahles Badezimmer gesperrt wird, damit er dem Mobiliar nicht schadet, wird er ein anderes Symptom bilden, wie z.B., urinieren und/oder koten, um mit dieser neuen Konfliktsituation umgehen zu können. Wird aber die Ursache selbst behoben, verschwinden auch ihre Ausmaßen und Auswirkungen.

Es ist eine innere Eingebung, dass Menschen impulsiv auf nonverbale Signale die z.B. Trauer oder Freude ausdrücken, reagieren, weil diese subjektive Gefühle auslösen. In der Mensch-zu-Mensch-Kommunikation ist es dem Naturell entsprechend. In der Mensch-zu-Hund-Kommunikation muss aber die Situation analysiert werden. So ist es nicht immer Freude, wenn der Hund nach Heimkehr des Menschen an ihm hochspringt. Auch das Schwanzwedeln kann unterschiedliche Bedeutungen haben, die von freudig bis hin zu einem eher aggressiven Wesenszustand reichen können.

Beim Menschen (kulturabhängig) gehört es zum Repertoire höflichen Verhaltens beim Gespräch Blickkontakt aufzunehmen, während es in der Hundewelt für ein Drohsignal steht. Ebenso vermeiden es Hunde, sich frontal zu begrüßen. Das käme einer Konfrontation gleich und könnte zu Konflikten führen.

Hunde werden in Kostüme gesteckt, die weder dem Schutz noch der Identifikation dienen

Besonderes Interesse hierbei gilt der Bekleidung: Schlafanzüge, Hochzeitskleider, Bräutigam-Kostüme, Schwimmwesten, Tracht und Dirndl sind nur einige Beispiele unter vielen anderen. Tierschutzorganisationen wie PETA und die RSPCA setzen sich gegen die Kostümierung von Tieren ein, wenn sie keinen funktionalen Zweck wie Schutz, z.B. Pfotenschutz bei Rettungshunden, oder Wärme erfüllt. Hunde mit wenig Körperfett oder kurzem Haar können bei kalten Temperaturen durchaus von der warmen Bekleidung profitieren, während z.B. Huskys oder Bernhardiner keinen Wärmeschutz benötigen. Bei einer zu warmen Bekleidung bei Hitze besteht wiederum die Gefahr der Überhitzung. 

Ein sehr wichtiger Punkt, den es bei der Bekleidung von Hunden zu beachten gilt, ist die Einschränkung der Kommunikation durch die Ohren und Rute. Wenn das Kostüm es dem Hund nicht ermöglicht, sich frei zu bewegen, weil es z.B. zu klein ist, um sich zu mitteilen, wird er verunsichert und kann verängstigt oder aggressiv reagieren, ebenso wenn er es nicht gewohnt ist. In einer zu großen Bekleidung dagegen kann er sich verfangen und verletzen.

Die Frage, ob Hunde die Verkleidung als störend empfinden, ist wohl berechtigt. Es ist unnatürlich, nicht artgerecht, gänzlich unnötig und erhöht das Risiko der physischen sowie psychischen Belastung.

Es wird erwartet, dass Hunde die menschliche Sprache verstehen und richtig deuten

Die menschliche Kommunikation ist in der Regel eine verbal-digitale, also das, was wir die menschliche Sprache nennen. Hunde kommunizieren im Gegensatz zum Menschen rein analog, also mit Zeichen und Signale.

In den letzten Jahren haben Wissenschaftler begonnen, die Fähigkeit der Hunde menschliche Sprache zu verstehen, zu untersuchen. Besondere Berühmtheit erlangte der Border Collie Rico, der in der Lage war, 200 verschiedene Objekte zuverlässig zu identifizieren.

Border Collie Hündin Chaser war nach Angaben der Forscher sogar in der Lage 1.022 Objekte zu unterscheiden und sogar Oberbegriffe wie zum Beispiel „Spielsachen“, und Unterbegriffe zur Unterscheidung von verschiedenen Arten von Bällen zu verstehen.

Ein weiteres erwähnenswertes Experiment wäre das von Emile van der Zee und Kollegen, die zeigen, dass der von ihnen trainierte Border Collie Gable, Bezeichnungen, die er für ein Objekt gelernt hatte, auf neue übertragen konnte.

Worin sich Hundehalter schon lange sicher waren, wird mit diesen und weiteren Beispielen wissenschaftlich bestätigt; Hunde können einzelne Wörter, unabhängig von der Betonung, verstehen und mit den richtigen Dingen verbinden, wenn sie darauf trainiert werden.

Auch sind sie fähig, Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten bestimmter Ereignisse, die mit Handlungen oder kommunikativen Zeichen verknüpft sind, richtig zu deuten. Nach dem heutigen Stand des Wissens besitzen sie aber keine Fähigkeit zur komplexen Sprache, d.h. sie verstehen nicht, wenn der Mensch pausenlos auf ihn einredet, ihm von seinem Alltagsstress erzählt oder Fragen stellt. In diesen Fällen versteht der Hund den Menschen nicht wörtlich, er hört ihm lediglich seinen Gefühlszustand raus. Auch die zeitliche Einteilung macht für den Hund keinen Sinn. Sie leben im Hier und Jetzt. Wenn der Mensch dem Hund erzählt, dass zuerst gekocht, dann gegessen und erst danach Gassi (Signalwort) gegangen wird, braucht er sich über den aufgesprungenen und schwanzwedelnden Hund nicht zu wundern.

Auf Hundeprobleme wird mit Menschenlösungen reagiert

Teils um die höheren Kosten für das verschreibungspflichtige Tierarzneimittel zu sparen, teils aus Bequemlichkeit, ist die Verabreichung von Medikamenten aus der Hausapotheke weit verbreitet. Dabei ist die Anwendung eines Arzneimittels, das nicht für den Hund bestimmt ist, oft problembehaftet. Die bekannten, für den Menschen nicht verschreibungspflichtigen Wirkstoffe wie Paracetamol, Ibuprofen oder Diclofenac sind für Hunde nicht geeignet und können zu schweren, gar tödlichen Nebenwirkungen führen. Paracetamol ist sogar zur Anwendung bei Tieren der Verschreibungspflicht unterstellt. Die Gabe eines Arzneimittels sollte daher stets mit dem Tierarzt abgesprochen werden.

Ein weiteres, alltäglich zu beobachtendes Halterverhalten ist das Zeigen der Zuneigung zum falschen Zeitpunkt. Einen Hund zu streicheln und zu herzen ist für Menschen sehr befriedigend und kann ihm tatsächlich erhebliche gesundheitliche Vorteile bringen. Problematisch wird es, wenn der berührungsorientierte Mensch, einem sehr aufgeregten, aufgedrehten, aggressiven oder sehr verängstigenden Hund Zärtlichkeiten schenkt. Wenn das unangemessene Verhalten eines Hundes mit Streicheleinheiten belohnt wird, kann er dieses Verhalten nicht ablegen. So bewirken beruhigende Wörter bei einem Hund in einem aggressiven Zustand genau das Gegenteil; Zuwendung in so einem Augenblick bestätigt das Tier nur in seinem Verhalten. Erhitzte und aufgeregte Hunde, die das nicht durchsetzen können, was sie wollen, können auf Berührungen mit Bissen reagieren. In so einem Fall ist die Aggressivität tatsächlich oft an den Halter adressiert, auch wenn viele Besitzer Schwierigkeiten haben, diese Realität anzunehmen. Hier spricht man von einer „umgelenkten“ Aggression, die für den Halter gefährlich werden kann. In diesem Zusammenhang muss der Halter mit seinem Hund an der Beziehung und der Frustrationstoleranz arbeiten und einen Experten hinzuziehen.

Hunde haben einen typischen Eigengeruch und  sollten im Gegensatz  zu Menschen weder oft gebadet noch parfümiert werden. Zu häufiges Baden bringt den Schutzfilm, der für Schmutz und Nässe zuständig ist, aus dem Gleichgewicht. Wenn es sich aber nicht vermeiden lässt, weil sich z.B. der Hund in Aas gewälzt hat, was übrigens kein Hundeproblem, sondern nur für den Menschen unangenehm  ist, dann sollte darauf geachtet werden, spezielles Hundeshampoo zu verwenden. Hunde haben eine andere Hautflora als Menschen. Sie ist dünner und hat einen pH-Wert von 7,5. Menschliche Shampoos sind auf den pH-Wert 5,5 abgestimmt und für die Hundehaut ungeeignet. Zudem stören möglicherweise Parfüms und Duftöle die Kommunikation unter den Hunden, die bekannterweise viele Informationen über den Geruch des anderen wahrnehmen. Auch können Allergien und Hautirritationen ausgelöst werden. Daher ist es ratsam auf derartige Utensilien zu verzichten.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass das Streicheln eines verängstigtes Tieres in manchen Situationen durchaus tröstend und hilfreich sein kann, während es unter anderen Umständen kontraproduktiv ist. Auch hier lohnt es sich, die Situation genau zu analysieren und im Zweifelsfall auf Berührungen zu verzichten. Mit einer ruhigen, selbstbewussten und sicheren Haltung in angstauslösenden Momenten ist dem Tier oft schon geholfen.

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